Ich bin immer mehr in Schulden geraten!

(Herr M. ist 61 Jahre alt, pflegt seit 8 Jahren und lebt in Hessen)          

Meine Forderungen an Politik und Gesellschaft: Ich fordere die sozial gerechte Absicherung pflegender Angehöriger, dass ihre Grundbedürfnisse erfüllt werden können und ein gewisser Lebensstandard erhalten bleiben kann, der jedem Menschen – in Deutschland wenigstens – zusteht. Und ich wünsche mir die Anerkennung für das, was pflegende Angehörige tun: Das es eine ganz tolle Sache ist, einen geliebten Menschen zu pflegen!

Meine Frau hat Multiple Sklerose. Als ihre Krankheit ausbrach, war unsere jüngste Tochter gerade geboren. Wir haben vier Kinder. Ich habe die Pflege meiner Frau, die inzwischen Pflegestufe 3 hat, übernommen, ich habe meine Kinder allein großgezogen und auch meine alternden Schwiegereltern, die im gleichen Haus lebten, bis zu ihrem Tod begleitet und gepflegt. Um dies alles leisten zu können, musste ich vor 16 Jahren meinen Beruf aufgeben. Vor der Erkrankung meiner Frau hatten wir, zusammen mit meinen Schwiegereltern, ein Haus gebaut. Nach dem Tod meines Schwiegervaters musste ich sämtliche noch offene Belastungen und Unkosten am Haus allein übernehmen.

Da meine finanziellen Mittel hierfür nicht ausreichten, nahm ich teure Kredite bei Banken auf und überzog mein Konto. Wir wollten das Haus auf keinen Fall verlieren, wir brauchten den Platz für die Pflege, und es sollte als Sicherheit für uns und unsere Kinder dienen. Da die Ausgaben höher waren als unsere Einnahmen (Pflegegeld für meine Frau, Kindergeld) und ich zeitlich nicht in der Lage war, eine Stelle anzunehmen, häuften sich die Schulden an. Es war ein ständiger Kampf, uns einigermaßen über Wasser zu halten.

Ich wollte es aus eigener Kraft schaffen, aus dieser Situation herauszukommen. Einen Teil der Schulden konnte ich mit der Zeit abtragen, andere nicht. Ich sträubte mich lange dagegen, Hartz IV zu beantragen. Freunde und Organisationen, die sich für Pflegebedürftige einsetzen, rieten mir hierzu, was ich schließlich dann doch machte. Unsere finanzielle Situation ist dennoch auch jetzt noch sehr angespannt.

Wir leben praktisch von der Hand in den Mund und ich habe oft Existenzangst. Zum Beispiel ist zur Zeit die Heizung in unserem Haus defekt. Ich bräuchte dringend Geld für eine Neue und all meine Bemühungen, einen Kredit dafür zu erhalte, waren bisher erfolglos. Zur Zeit sind meine schwerstpflegebedürftige Frau und ich gezwungen, in einem eiskalten Haus ohne Heizung zu leben (Stand: Ende Oktober 2012). Ich bin heute 58, meine Gesundheit und Belastung sind stark angeschlagen.

Nachtrag (Stand: Frühjahr 2013): „Durch individuelles Eingreifen eines prominenten Politikers, den ich persönlich angeschrieb, über die Lage informierte und um Hilfe bat, wurde mir dann endlich vor dem Winter ein Darlehen für die Heizung vom Jobcenter gewährt. Dies zahle ich derzeit zurück“.

Was jedoch nicht zerstört werden konnte, ist meine Überzeugung, dass es wichtig ist, für andere da zu sein – das lasse ich mir nicht nehmen. Ich musste immer kämpfen und kämpfe auch heute noch teilweise ums Überleben. Zu der anstrengenden Arbeit der Pflege kommt noch der Kampf ums Geld, der Kampf mit Behörden und Kassen. Ich versuche immer wieder, einen Ausweg zu finden und lasse mich nicht unterkriegen. Ich möchte jedem pflegenden Angehörigen raten, sich nicht einschüchtern zu lassen, sich nicht unterkriegen zu lassen und weiter zu kämpfen.

( Bericht aus 2012 – aktualisiert in 2015 )

 

4 Gedanken zu “Ich bin immer mehr in Schulden geraten!

  1. ZUR VERÖFFENTLICHUNG FREIGEGEBENER FACEBOOK KOMMENTAR VOM 20.07.2014!

    FRAU SONJA W. – SELBST PFLEGENDE ANGEHÖRIGE:

    Wer „beschäftigt“ ist der hat keine Zeit sich zu wehren …..
    interessiert niemand wirklich denn alle hoffen,dass dieser Kelch an ihnen vorüberzieht – keine Lobby- keine Stimme 🙁

    die Politik sowieso nicht denn Regelungslücken sind zwar bekannt jedoch müssen die auch nicht geschlossen werden – somit ist es klar das die aus dem Raster fallen. Die Jobcenter sind zumindest dahingehend so nett alle aus der Vermittlung rauszunehmen (allerdings auch aus den Weiterbildungsmaßnahmen) die „eine Pflegestufe III“ zu Hause betreuen…..
    GG- von wegen Würde des Menschen und Schutz der Familie ….
    sollte irgendwann die Pflege Enden – steht so ein Mann vor einem großen NICHTS!

  2. Herr M. bat uns folgenden Nachtrag nach seinem auf unserer Facebook-Seite so erfolgreich veröffentlichtem Bericht auf zu nehmen – machen wir gerne!
    Lesen Sie daher bitte, was durch individuelle prominent – politische Hilfe möglich wurde…

    Susanne Hallermann & Team Armut durch Pflege

    NACHTRAG (Stand: Frühjahr 2013): „Durch individuelles Eingreifen eines prominenten Politikers, den ich persönlich angeschrieb, über die Lage informierte und um Hilfe bat, wurde mir dann endlich vor dem Winter ein Darlehen für die Heizung vom Jobcenter gewährt. Dies zahle ich derzeit zurück“. (Zitat Herr M.)

  3. Es ist sehr traurig, Deutschland gibt so viel gelder an andere, Länder nur nicht an die eigenen Menschen dieses Landes. Angehörige in der Pflege von Familienmittgliedern, brauchen mehr förderung vom Statt.

  4. Hallo Herr M. !
    Die Gesellschaft kann stolz auf sie sein , dass gerade sie als Mann für ihre Frau und ihre Kinder so gut sorgen. Ich will nicht damit sagen, dass es selbstverständlicher ist, wenn Frauen so viel Verantwortung übernehmen, aber es gibt immer noch zu viele männliche Exemplare, die aus so einer Situation herausgeflüchtet wären. Das man Ihnen noch nicht mal die Heizung gönnt, macht mich schrecklich wütend auf die Politiker, die sicher schön im Warmen sitzen. Mich ekelt soviel Arroganz und Sadismus seitens der Behörden an und ich danke Ihnen, dass sie hier öffentlich Ihre Situation geschildert haben . Hier wird Menschlichkeit boykottiert und das ist ein großes Verbrechen ! Sie haben diesen Schlechtigkeiten jahrelang die Stirn geboten, haben durchgehalten und nun müssen wir damit radikal an die Öffentlichkeit gehen. Glauben Sie mir, das wollen mehr Menschen, als der Staat zugeben will. Die Leute gehen wieder auf die Straße und das ist gut so!
    Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft und vergessen Sie nicht, dass Sie einer von den Guten sind und die haben es, rein geschichtlich, immer schon schwerer gehabt. Das werden wir ändern!!!
    Ganz liebe Grüße , auch an Ihre Frau und Ihre Kinder
    Silvia Wölki

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