Wir kämpfen weiter!

Familie *** – anonymisiert auf Wunsch der Betroffenen 

Meine Forderung an Politik und Gesellschaft!

Wir fordern von der Politik, uns die notwendige Unterstützung zu geben, um die wir bitten. Mein Mann wartet seit 4 Jahren vergeblich auf einen Sprachcomputer, ohne den er sich nicht verständigen kann. Wir wünschen uns, dass die Entscheidungsträger der Krankenkasse zu uns nach Hause kommen, um sich „vor Ort“ ein Bild von unserer Notlage zu machen – anstatt vom Schreibtisch aus Ablehnung zu schreiben.

Wir kommen aus Südeuropa und leben seit 22 Jahren in Deutschland. Ich pflege meinen Mann seit nun 14 Jahren. Mein Mann ist seit 2003 an ALS (Amytrophe Lateralsklerose) erkrankt. Der ganze Körper wird im Laufe der Zeit zunehmend gelähmt. Heute kann mein Mann sich nicht mehr bewegen, nicht mehr sprechen und nicht mehr selbstständig atmen. Zum Leben braucht er ein Heimbeatmungsgerät, eine künstliche Ernährung und 24 Stunden Pflege. Ich bin immer dabei, jeden Tag und auch in der Nacht. Ich musste lernen, wie man welche Hilfen findet, beantragt und bewilligt bekommt.

Bis heute bleibt das ein schwerer Kampf. So beantragten wir kürzlich einen „Vernebler“, den ein Lungenfacharzt angeordnet hatte. Ohne Erfolg! Die Krankenkasse lehnte den Antrag ab. Ohne das Gerät besteht die Gefahr, dass mein Mann eine Lungenentzündung entwickelt und er dann in ein Krankenhaus eingewiesen werden muss. Der Kampf um die Bewilligung kosten meinen Mann wertvolle Zeit!

Seit 4 Jahren muss mein Mann ohne einen Sprachcomputer leben. Mein Mann kann sich nur noch über die Bewegung seiner Augen verständlich machen. Dazu gibt es inzwischen etablierte Sprachcomputer. Sie ermöglichen, dass man mit seinen Augenbewegungen „schreiben“ kann. Wir hatten einen solchen Augensteuerungsapparat, den mein Mann gut bedienen konnte. Bis vor fünf Jahren, als das Softwareprogramm abgelaufen war und wir ein neues beantragen mussten. Das Nachfolgeprogramm wurde uns nicht zugesprochen. Offenbar zu teuer. Stattdessen erhielten wir einen anderes Gerät. Meinem Mann ist es aber nicht möglich, dieses zu steuern und darüber zu kommunizieren. Alle Bemühungen, mit den Kassen eine geeignete Lösung zu verhandeln, sind gescheitert. Sie argumentieren einfach: Das Problem, liege bei meinem Mann. Damit ist für sie der Fall erledigt.

Rücklagen haben wir keine aufbauen können. Seitdem müssen wir unseren Haushalt über Hartz IV, die kleine Rente meines Mannes und etwas Wohn- und Pflegegeld stemmen. Das ist weniger als 1/3 unseres vorherigen Einkommens, als meine Mann noch arbeiten konnte. Wir haben immer gelernt, mit wenig Geld zu leben. Was uns bedrückt, ist nicht nur die drohende Armut durch Pflege, sondern, arm zu sein und zu pflegen.

Wir können selber keine Finanzen in die Pflege geben. Dennoch ist das Pflegesystem so aufgestellt, dass es diejenigen begünstigt, die über finanzielle Mittel verfügen. Mein Mann bekommt nur die billigsten Medikamente und Hilfsmittel von der Kasse erstattet. Verträgt er z.B. das vorgeschriebene Medikament nicht, müssen wir ein alternatives Präparat aus der eigenen Tasche bezahlen. Für wichtige Medikamente und Pflegemittel lasse ich so ein paar 100 Euro in der Apotheke. Das restliche Geld bleibt zum Überleben.

Wie können Kosten-Nutzen-Rechnungen über das Wohl des Patienten gestellt werden? Ein anderes Beispiel schildert, dass die Politik genau diese Praxis unterstützt. Vor ein paar Jahren habe ich einen Pflegedienst zu unserer Unterstützung gesucht. Der Pflegedienst, an den wir uns wandten, bot uns einen Vertrag an, zu dem wir zusätzlich eigene große Beiträge hätten zu geben müssen. Das Geld haben wir nicht. Wir brauchten aber dringend die Hilfe eines Pflegedienstes. Sie nutzten die Situation aus und wollten mich zwingen, zum Sozialamt zu gehen, um die Zusatzkosten zu kassieren. Warum ist das erlaubt? Wo bleiben die Politiker, die unsere Rechte als Bürgern schützen?

Wir geben jeden Tag aufs Neue unsere ganze Kraft, unseren Mut und Lebenswillen. Aber wir fühlen uns oft allein. Wir erwarten keinen Besuch an Weihnachten, obwohl uns das Fest viel bedeutet. Mein Schwiegervater in Deutschland kommt nicht mehr zu uns. Er kann das Leid seines Sohnes nicht ertragen. In der Nachbarschaft gibt es ein paar Freunde. Sie kann ich manchmal besuchen gehen und mit ihnen reden. Das hilft. Aber viele Menschen in Deutschland erlebe ich auch als kalt und zurückgezogen. Sie kommen nicht vorbei und bieten an, zusammen zu essen oder fragen, wo sie helfen können. Das vermisse ich.

Meine Zukunft sind immer die nächsten Stunden. Ich habe gelernt mir keine großen Sorgen zu machen, sondern von Tag zu Tag zu leben. Allein schon, weil ich meinen Mann nicht immer mit diesen großen Problemen belasten will. Ich tue alles von Herzen. Den Tag gut zu schaffen, ist zu meinem Lebensziel geworden. Dafür zu sorgen, dass es meinem Mann und meinem Sohn gut geht. Beide sind meine Säulen, die den Alltag stützen. Wir können von „Glück“ reden, dass wir uns haben.

Mein Mann ist mein Vorbild.Von ihm lerne ich viel vom Leben. Er gibt uns sehr viel zurück mit seinem Lächeln und seiner Dankbarkeit!

(Bericht aus 2012- Jahresangaben aktualisiert in 2016)

Über unser Netzwerk und viele viele Anstrengungen und Wege hat die Familie nun einen Sprachcomputer erhalten – wir danken allen Beteiligten von Herzen!

Auch wir kämpfen weiter, damit diese Diskriminierungen und soziale Ungerechtigkeiten für pflegende Angehörige & die Pflegebedürftigen aufhören – Ihr Team ADP

5 Gedanken zu “Wir kämpfen weiter!

  1. Hallo!
    Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Manchmal habe ich den Eindruck,dass es zu einem sportlichen Wettkampf geworden ist,soziale Hilfen zu beantragen.Wer kann am besten argumentieren,wer findet die besten Argumentationshilfen,ja wer ist der schlaueste Fuchs. Nein , wie bedienen wir die ausufernde Bürokratie und wie schaffen und erhalten wir die Arbeitsplätz,die ja erst mal dadurch entstehen,dass so viele Beweise ,Anträge und Erklärungen verlangt werden.Jeder will was abhaben von dem Geld,was eigentlich dem Pflegenden und den Pflegebedürftigen zusteht. Da müssen erst große Institute geschaffen werden, um die Forderungen der Bürokraten zu erfüllen, um den Pflegenden zu helfen an Gelder und Hilfe zu kommen.Ja das ist total wichtig,dass es die Bürokratenpolizei gibt,denn wir sind erstmal Verbrecher,die sich nur eine Leistung erschleichen wollen.Ich fordere, weniger Bürokratie und mehr Vertrauen zu den pflegenden Menschen.

  2. Das mit der Sozialhilfe möchte ich ebenfalls unterstreichen. Wo die Pflegeversicherung aufhört, fängt die Sozialhilfe an, wenn man „arm genug“ ist. Klingt zynisch, ist aber halt so und dann wird einiges möglich. ..
    Dann lese ich nichts von Pflegestützpunkt und Pflegeberatung. Den nächsten Pflegestützpunkt nennt einem die Kommune oder das Landratsamt und Pflegeberatung gibt es dort, bzw. bei der Kasse. Klingt nach Interessenskollision, die KollegInnen sind aber ziemlich kompetent. Solche Unterstützung braucht man, um Argumentationshilfe zu bekommen, das ist oft hilfreich, jedenfalls erst mal hilfreicher als jeder Petitionsausschuss. Ich war bis zur Altersrente vor knapp einem Jahr als Pflegestützpunkt bzw. IAV-Stelle in Ba-Wü tätig, spreche also aus Erfahrung.
    Mit deren Unterstützung müsste man auch wegen den Medikamenten besser verhandeln können, bzw. der Arzt / die Ärztin muss entsprechen argumentieren.
    Der Pflegedienst hat sich völlig korrekt verhalten und zurecht auf die Sozialhilfe hingewiesen, mit abkassieren hat das nichts zu tun. Sie bestimmen, was der Pflegedienst leisten soll und was nicht. Wenn Sie etwas wollen / brauchen, kassiert der Pflegedienst nicht ab, sondern wird für seine Leistungen bezahlt. Die Frage ist, ob es dieser Pflegedienst sein muss und wer Sie berät, was der Pflegedienst machen sollte / was Sie bräuchten und was nicht.
    Da Sie eh schon Hartz IV beziehen, dürften gut begründete Anträge beim Sozialamt positiv beschieden werden.
    Ist die Einstufung Ihres Mannes in der Pflegeversicherung korrekt? Hat man Ihnen schon mal erläutert, was besser für Sie wäre, das „geringe Pflegegeld“ oder die Sachleistung? Was ist mit Verhinderungspflege? Wurde das schon mal ausgeschöpft?
    Sie kommen aus Südeuropa – hat man Ihnen schon mal sämtliche Möglichkeiten un deren Nutzung und Sinn erläutert? Hinter dieser Frage steht keinerlei irgendwie geartete Diskriminierung – auch Deutsche haben oft keine Ahnung.
    Wenn Sie schon beim Pflegestützpunkt waren – wurden Sie ‚gut‘ beraten, oder brauchen Sie noch eine andere Stelle?

    • Der Knackpunkt ist doch, dass an den Stellen, wo man Hilfe erwaten kann – um bei dem Beispiel mit dem Sprachcomputer zu bleiben – der „Fall“ einfach abgetan wird. Das Problem wird seitens der Experten an der pflegebedürftigen Person festgemacht. Der pflegebedürftige Mann kann sich seit zwei!! Jahren verbal nicht mehr mitteilen. Der Familie wird die Verantwortuing für diesen Missstand übertragen und in diesem Leid allein gelassen.
      Das Führen langwieriger Prozesse an immer höhere Instanzen darf nicht als Regelfall hingenommen werden. „Beißender Spott“ (Zynismus) kann wohl kaum eine Lösung für unsere Gesellschaft sein.

  3. Wenn alles nicht ausreicht, muss man zu Sozialamt gehen!! Das ist Recht, kein Almosen.

    Sind alle Wege ausgeschöpft, es gibt viele, z.B. den Petitionsausschuss des Bundestages? Manchmal bekommt man auf diese Weise zusätzliche Hilfe.

    • Sicher, die Sozialhilfe ist als Unterstützung zu verstehen, wo die eigenen finanziellen Mittel nicht ausreichen. Unerwähnt geblieben ist in diesem Beitrag, dass zu einem späteren Zeitpunkt der selbe Pflegedienst doch ein günstigeres Angebot machen konnte, so dass keine Sozialhilfe notwendig wurde.
      Problematisch ist, dass ambulante Pflege an marktiwirtschaftliche Regularien angepasst wurde. Das fördert die ambulante Pflege – macht pflegende Familien und ihre pflegebedürftigen Angehörigen aber auch erpressbar!

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