Von unserem Staat werden wir allein gelassen!

(Frau K. ist 64 Jahre alt, pflegte 17 Jahre   und lebt in Bayern)

Meine Forderungen an Politik und Gesellschaft: Wir pflegenden Angehörigen sind da, wir existieren und wir wollen wahrgenommen und mit Würde behandelt werden. Es darf nicht sein, dass wir trotz unserer Arbeit, Grundsicherung beantragen müssen.

 

Seit über 5 Jahren pflegte ich meinen Mann. Zuvor habe ich 11 Jahre lang meine Mutter gepflegt. Ich machte und mache es gerne. Aber von unserem Staat wird man allein gelassen. Als pflegender Angehöriger ohne fremde Hilfe existiert man nicht. Niemand hat uns gesagt „Wie, wann, wo“. Mein Mann hat am 20. Oktober 2006 einen Infarkt gehabt, war dann im Krankenhaus, und es wurde festgestellt, dass man ihn nicht mehr operieren kann, dass man also nichts mehr machen kann. Damals war die Aussage der Ärzte, dass jeder Tag ein Geschenk sei und er nicht mehr lange leben würde. Ich habe ihn mit nach Hause bekommen, und dann standen wir da. Das war Neuland für mich. Es wurde mir nicht gesagt, ich kann jetzt beim Versorgungsamt einen Behindertenausweis beantragen oder mein Mann braucht eine Pflegeeinstufung. Es gab keine Anlaufstelle. Das habe ich erst später durch eine Bekannte erfahren.

Da ging’s aber schon los, dass Du Dein Geld genommen hast, um Hilfsmittel für die Pflege zu kaufen. Das bei 430,00 Euro Rente, die mein Mann erhält, da geht’s dann ans Eingemachte. Ich bekomme ja selber auch nur EU-Rente. Anfangs habe ich neben der Pflege meines Mannes noch nachts gearbeitet; habe versucht etwas hinzuzuverdienen. Aber das ging dann nicht mehr. Ich hatte keine Ruhe gehabt, wenn ich weg war. So musste ich das aufhören. Und dann aufs Amt gehen: Wir, die wir nie vom Staat gelebt haben, immer selber gesehen haben, dass wir Geld hatten und nie auf andere angewiesen waren. Das ist ein sehr, sehr schwerer Gang. Ich habe die Anträge ausgefüllt und wieder weggelegt. Und dann ging’s nicht mehr. Ich wusste nicht, wie wir einkaufen sollten. Ich hatte das noch nie gemacht. Ich schämte mich so sehr. Obwohl ich heute denke, wir sparen dem Staat so viel Geld.

Wir haben dann die Grundsicherung beantragt. Das ganze Vermögen mussten wir aufbrauchen, und nicht mal meine Lebensversicherung für die Sicherung meiner Altersvorsorge konnte ich behalten. Das Geld der Pflegekasse reicht nicht aus. Für die anfallenden Fahrtkosten – wir wohnen auf dem Land, und für Arztbesuche müssen wir viele Kilometer weit fahren – bekommen wir nur 0,20 EUR pro Kilometer erstattet. Den Rest müssen wir selbst bezahlen. Also musst Du sehen, dass Du mit dem bisschen Geld, das Du zur Verfügung hast, irgendwie zu recht kommst. Wir können keinen Ausflug machen, wir können nicht mal irgendwo hin einen Kaffee trinken, das Geld habe ich nicht mehr, das geht nicht. Zwei Jahre lang musste ich auf eine neue Brille verzichten, weil ich mir diese nicht leisten konnte. Bis schließlich die Kartei der Not mir die Brille bezahlt hat. Oder Weihnachten – das war für mich schlimm. Ich habe immer gesagt: „Wenn mein Mann Weihnachten erlebt, dann muss das schön sein!“ Ich habe versucht, Weihnachten so schön zu machen, wie ich konnte.

Ich habe zum Glück einige Freunde, die mir geholfen haben, und sehr gute Ärzte, die nicht nach der Gesundheitsreform schauen und sagen: „Das Soll ist erfüllt“. Eine Freundin bringt mir dann und wann Gemüse oder Wurst oder irgendwas. Vom Hausarzt bekomme ich manchmal Pröbchen geschenkt, weil der weiß, wie unsere finanzielle Situation jetzt ist. Wenn man da nicht gute Freunde hätte, da zähle ich meine Ärzte auch dazu, dann ist man da total allein gelassen. Dass unser Lebensstandart oder unsere finanzielle Situation einmal so werden würde durch Pflege, das hätten wir uns nie so gedacht. Sollte ich meinen Mann überleben, muss ich von 720 Euro Rente leben, und Grundsicherung gibt es dann auch nicht mehr. Ist das der Dank von unserem Staat? Für alles Andere hat unser Staat Gelder übrig, jedoch für die Menschen, die ihre Angehörigen pflegen, ist nichts da.

Wir leisten unsere Arbeit aufopfernd und mit all unserer Liebe, die wir geben können! Es ist ein 24 Stunden Job jeden Tag, der nicht bezahlt wird. Warum werden wir dafür nicht etwas entlohnt, wenn Pflegedienste bzw. Pflegeheime sehr, sehr viel Geld dafür erhalten?? Wir haben doch unserem Staat so viel Geld gespart. Mit dem wenigen Geld kann man nicht leben, denn das ist kein würdiges Leben mehr.

 

 ( Bericht aus 2010 – Jahresangaben aktualisiert in 2016 )

Herr K. verstarb am 24. Juli 2013 .

Zur jetzigen Situation:

Rente: EUR 800,00 mtl.,  Grundsicherung: nichts, kein Wohngeld !                               Zum Leben bleiben EUR 100 mtl., Holz zum Heizen wird von Cartei der Not / Caritas mit bezahlt bzw. unterstützt. Frau K. geht jetzt regelmäßig zur Tafel‼️

Wir danken für die weitere Verbindung zu Familie K., denn sie waren unsere 1.Betroffenen-Bericht-Familie und immer dabei! DANKE!


 

 

6 Gedanken zu “Von unserem Staat werden wir allein gelassen!

  1. Guten Tag
    Durch selbständige Tätigkeit erhalten meine Eltern Mindestrente . Beide haben eine Krebserkrankung und müssen zur stetigen ärztlichen Behandlung. Die Wohnung die Sie bewohnen befindet sich im 2 Familienhaus meines Bruders u ist von den qm zu Gruß , so dass sie auf Wohngeld verzichten, um nicht immer aufgefordert werden , umzuziehen . Jetzt bekommen sie48€ Grundsicherung, die nun mit der rentenerhöhung wegfällt. Da die auf dem Land wohnen , geht viel Geld für die Fahrten weg .
    Wie kann man Ihnen helfen ?
    Viele Grüße annett

    • Liebe Annett,

      das ist so aus der Ferne (und per Mail) schwierig zu beantworten, da bei jeder pflegenden Familie und bei jedem Pflegebedürftigen individuelle Faktoren zu berücksichtigen sind. haben Ihre Eltern denn eine Pflegestufe beantragt und kennen die derzeitigen Hilfs-und Unterstützungsangebote? Schreiben Sie uns doch gerne, in welchem Bundesland sie wohnen…., dann könnten wir sie mit unserem wir pflegen – Landessansprech-Person verbinden.

      DANKE für Ihren Kommentar und mit lieben Grüßen aus Telgte (NRW).
      Susanne Hallermann, Koordinatorin im Team ADP

  2. Es müsste bessere Lösungen geben!
    Aber selbst wenn es bessere Lösungen gibt, und da besteht kein Zweifel dass solche vorhanden sind, an der beherzten Umsetzung happert es!

    • Lieber Herr Johann,

      vielen DANK für Ihren Kommentar!

      Wohl wahr, denn es gibt für die Situation pflegender Angehöriger keine „Wissens-Defizit“, sondern ein „Umsetzungs-Defizit“ …? .

      Aber wir bleiben ja dran, GENAU DIES zu ändern und einzufordern!

      Susanne Hallermann für Team ADP

  3. Das ist eine erschütternde Geschichte!
    Wurde denn tatsächlich ALLES geprüft, auf das Frau K. Anspruch haben könnte? Hat sie einen Bedarfszuschlag als Schwerbehinderte? – einen Ausweis mü ist manches möglicsste sie doch haben, wenn sie Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen hatte? Wurden Miete und vor allem Heizkosten berücksichtigt? Rundfunkbetragbefreiung? Muss sie eine bestimmte Diät einhalten z. B. wg. Diabetes? Sind alle Versicherungsleistgg. berücksichtigt? Hat sie womöglich noch unsinnige Versicherungen? Könnte sie womöglich selbst Hilfe zur Pflege erhalten? Unterhalb Stufe I ? Und wurde Wohngeld richtig geprüft?
    Ansonsten zeigt dieses Beispiel, dass pflegende Angehöige besser abgsichert werden müssen und einen Zuschlag zur Grundsicherung brauchen!

    • Liebe Barbara,

      wir leiten Deinen Kommentar an Familie K. weiter – vielen DANK!
      Sie waren die ersten, die uns auf die STROMERSTATTUNGSKOSTEN-OPTION“ in der häuslichen Pflege ansprachen…?.
      Von daher denke ich, dass Sie alles ausgeschöpft haben, was es an gesetzlichen Möglichkeiten so gibt- alleine DAS erfordert schon viel Durchsetzungsvermögen, Widerspruchs-Kraft und Informations-Marathon-Energie… .

      Aber es zeigt auch, wie wenig alltagstauglich und diskriminierend die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die größten Pflegeleister der Nation in der Realität wirklich sind. Es darf nicht sein, dass Menschen, die sich für Ihre Familie & Freunde einsetzen, „ambulant vor stationär“ wirklich leben, sozial ausgegrenzt, sozialrechtlich unabgesichert und in Armut enden – DAS ist für das größte europäische und reichste Land wahrlich eine Schande.

      Dies gilt es anzuprangern und zu ändern – wir sind dabei (und Du ja auch ? ).

      Susanne Hallermann, Koordinatorin im Team ADP

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