In der Zwickmühle zwischen SGB II und SGB XI !

 

( Herr K. ist 46 Jahre alt, pflegt seit 15 Jahren und lebt in Baden – Württemberg )

Meine Forderungen an Politik und Gesellschaft:

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Ich fordere als Lösung ganz einfach: Das Pflegegeld, das pflegenden Angehörigen zusteht, müsste zumindest bei Pflegestufe 3 an die Pflegesachleistungen angeglichen werden, die ein Pflegedienst oder das Heim bekommt. Inzwischen halte ich Vorträge über die Situation pflegender Angehöriger, ich werde in Fernseh-Talkshows eingeladen, die Medien berichten über mich.

 

Ich spreche hier für die Vielen, die ihre pflegebedürftigen Angehörigen nicht in ein Heim geben wollen: Ich pflege meine Mutter seit 15 Jahren zu Hause, weil das, was Mutter trotz ihrer Behinderung weiterleben lässt, ihre Hoffnung auf glückliche Momente ist. Berührung, Zärtlichkeit spielen eine große Rolle für sie, ein Ausflug an der frischen Luft, überhaupt Ausflüge – diese Betreuung und Pflege kann in kaum einem Heim geleistet werden. Aber die Pflege zu Hause können wir nicht mehr gut machen.

Ich erzähle am besten der Reihe nach. 1998, kurz nach dem Tod unseres Vaters, hatte Mutter einen Schlaganfall und lag fünf Tage im Koma. Wir dachten, sie wacht nicht mehr auf, aber der liebe Gott hat ihr nochmal eine Extrazeit geschenkt. Sie ist seitdem halbseitig gelähmt und spricht fast nicht mehr. Mein erster Reflex war: Das geht mich nichts an. Aber dann tat sie mir Leid, und ich merkte auch, wie wertvoll sie mir war. Ich sah die Verhältnisse in der Reha und beschloss, dass ich meine Mutter nicht im Heim haben wollte. Also zog ich bei ihr ein und gab uns zwei Monate Probezeit. In der Zeit merkte ich, dass ich das kann mit der Pflege, und damit war auch klar, dass ich das mache.

Dabei opfere ich mich nicht auf. Erstens bekomme ich viel zurück von meiner Mutter. Es ist etwas Wunderschönes, in so einer schnelllebigen, auf Gewinn ausgerichteten Zeit mit jemandem zu leben, der mich zwingt, mein Leben zu entschleunigen. Ich sehe das als Geben und Nehmen. Was wäre die Sonne ohne die, für die sie scheinen darf? Zweitens glaube ich, dass ich das moralisch Richtige mache, daraus ziehe ich eine tiefe Befriedigung. Und drittens, auch wenn das abgeschmackt klingt: Ich liebe sie. Ganz einfach.

Das Problem ist nicht die Pflege, das Problem sind die Umstände. Ich sitze in der Zwickmühle zwischen SGB II und SGB XI. Weil ich alleine für meine schwerstpflegebedürftige Mutter (Pflegestufe 3) rund um die Uhr sorgen muss, kann ich nicht arbeiten gehen. Denn die in der ambulanten Pflegeversorgung vorgesehenen Pflegesachleistungen reichen nicht aus, diesen Betreuungs- und Pflegeaufwand, den ich täglich leiste, durch einen ambulanten Pflegedienst abzudecken.

Die ersten sieben Jahre haben die Ersparnisse meiner Mutter gereicht, um die Kosten für die Pflege zu decken, die nicht von der Pflegeversicherung abgedeckt waren. In dieser Zeit habe ich weiter in meinem Friseurgeschäft gearbeitet und jemanden für die Pflege zuhause bezahlt.

Dann war das Geld meiner Mutter weg, und was dann passiert in Deutschland, ist absurd: Hätte ich meine Mutter in ein Heim gegeben, wäre neben der Pflegeversicherung (ca. 1500 Euro monatlich für Pflegesachleistungen) das Sozialamt für die Kosten aufgekommen. Da ich aber beschloss, Mutter zuhause zu behalten, bekomme ich nur 675 Euro Pflegegeld im Monat. Den Rest hätte ich selber aufbringen müssen, aber so viel Geld, wie eine halbwegs legale Pflege kostet, kann ich als Friseur gar nicht verdienen. Ich konnte es mir also schlicht nicht leisten, weiter zu arbeiten und meine Mutter währenddessen zuhause pflegen zu lassen. Ich hatte nur die Wahl, Mutter entweder ins Heim zu geben oder die Pflege komplett selbst zu übernehmen. So bin ich in Hartz IV gerutscht, wo ich nichts verloren habe, und durch Hartz IV bin ich verarmt.

Ich beantragte Unterstützung und musste mein ganzes V ermögen aufbrauchen, bevor ich Hartz IV bekam: Meine Ersparnisse, meine Lebensversicherung, das behindertengerechte Auto, und jetzt steht die Zwangsversteigerung meines Hauses an. Das war eine harte Schule: den eigenen Abstieg vor Augen zu haben und auszuhalten. Aber da bin ich durch. Was wir haben, sind die 675 Euro Pflegegeld, Mutters Rente von etwa 500 Euro und Hartz IV für mich. Ich habe gelernt, mit wenig auszukommen, das hat auch sein Gutes. Das Schlimme ist, dass die Ersparnisse draufgegangen sind. Wenn ich später wieder ein Friseurgeschäft aufmachen will, fange ich bei Null an.

Die meisten Menschen wollen im Alter am liebsten zuhause bleiben, und der Slogan heißt ja auch „ambulant vor stationär“. Aber im Grunde kann man es sich nicht leisten, seine Angehörigen zuhause zu pflegen. Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, bin ich im Sommer 2009 nach Berlin marschiert und habe Gespräche mit Politikern geführt.

(Vorlage: das Protokoll der Freiburger Journalistin Ulrike Schnellbach, siehe www.schreib-gut.de)

( Bericht aus 2010 – Daten aktualisiert in 2013 )

2 Gedanken zu “In der Zwickmühle zwischen SGB II und SGB XI !

  1. Lieber Herr K. !
    Erstmal herzlichen Dank für ihre Offenheit in ihrem Bericht. Sie haben am eigenen Leib erfahren, wie es Menschen hier in Deutschland ergeht, wenn sie bereit sind, ihre Angehörigen zu pflegen. Das ist eine große und schwere Aufgabe, die sie freiwillig und aus Liebe übernommen haben . Das sind gelebte Werte, die jegliche Art von Unterstützung verdienen. Sie haben mit Politikern 2009 gesprochen, wahrscheinlich ganz allein, weil pflegende Angehörige und Pflegebedürftige keine Lobby haben. Es hat sich nicht viel getan seitdem und das haben Sie und wir anderen pflegenden Angehörigen nicht verdient. Wie sehr würde ich es Ihnen und uns wünschen viele Fürsprecher im Volk zu haben, doch wir werden immer beiseite geschoben, weil es am laufenden Band, wichtigere Sozialprojekte für unsere Gesellschaft gibt. Den meisten Menschen stößt die Armut zu, ohne eine Wahlmöglichkeit zu haben. In Ihrem und unserem Fall ist die Armut eine zwingende Konsequenz, wenn wir unsere Familienmitglieder pflegen wollen, sozusagen der Preis, den wir für etwas Gutes und Ehrenwertes bezahlen müssen. Wir haben doch jetzt lange genug bewiesen, dass wir aus edlen Motiven heraus pflegen und nun erwarten wir jede Art von Unterstützung durch unsere Gesellschaft und der Politik, diese sozial gelebte Verantwortung zu fördern, statt zu behindern. Soziale, gelebte, Verantwortung ist die Säule einer gut funktionierenden Gesellschaft. Wir sehen es in den Dritte Welt Ländern, was passiert, wenn die Starken sich nicht um die Schwachen kümmern. Ich danke Ihnen, dass sie sich für die Pflege ihrer Mutter entschieden haben und erkläre mich Ihnen solidar !
    Mit herzlichen Grüßen
    Silvia Wölki

  2. hallo
    ich habe pflegestufe 2 und meine söhne würden mich auch nie in ein heim geben, daher finde ich deine kampf toll und mutig und ich möchte dir von hier aus danke dafür sagen
    gruss carmen

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